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Erez Israel in der Geschichte des jüdischen Volkes
Wir nähern uns dem Verständnis des jüdischen Volkes über dessen Geschichte.
In dieser Grafik sind zunächst die beiden Farbbalken entscheidend, die Details weniger wichtig. Es soll eine zeitliche Entwicklung dargestellt werden. Dabei wird so weit wie möglich dem biblischen Bericht gefolgt. Die Details der Texte findet ihr in der Anlage 5 im Artikel „Grundlagen“ in der Rubrik „Download“.
In der Grafik ist unten ein Zeitraum von 4.000 Jahren dargestellt, vom Jahr 2000 vor Christus bis heute. Die Grafik zeigt Veränderungen in „Erez Israel“. Dieser Begriff aus der hebräischen Bibel wird hier bewusst verwendet: Zu den Bundesverheißungen, die Gott dem Volk Israel gab, gehört immer auch das Land, auf Hebräisch „Erez“. Es soll hier nicht darauf eingegangen werden, welche konkreten Landstriche zu diesem Begriff gehören; auch der politisch heute umstrittene Begriff „Palästina“ wird hier nicht verwendet. Deshalb bleibt es in diesem Text bei „Erez Israel“, damit bezogen auf den Bund Gottes mit Abraham; Details werden den Experten überlassen.
Irgendwann in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends vor Christus lebten die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob. Irgendwann in der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus lebten die Nachkommen der Erzväter, das Volk Israel, im Exil in Ägypten. Wie lange die Zeit in Ägypten dauerte, ist umstritten. Ein Zeitraum von etwa 300 Jahren trifft es vielleicht.
„Erez Israel“ war in dieser Zeit nicht unbewohnt. Es lebten dort „Kanaaniter“, eine relativ unscharfe Bezeichnung. Zwischen 1400 und 1200 vor Christus machte sich das Volk Israel unter der Führung des Mose auf den Weg nach Kanaan: der sogenannte Exodus. Über die Menschen aus dem Volk Israel, die in Ägypten blieben, berichtet die biblische Erzählung nicht.
Etwa um das Jahr 1200 vor Christus begann die Eroberung Kanaans. Ihr seht in dem oberen Farbbalken, dass sich jetzt die blaue Farbe, die die jüdische Gegenwart in „Erez Israel“ symbolisiert, verstärkt. Die Zeit von 1100 bis 928 vor Christus war der Höhepunkt des Königreichs Israel; die Zeit der Könige Saul, David und Salomo. In „Erez Israel“ übernahmen Juden die Herrschaft. Ihr seht das hier an der blauen Farbe im unteren Balken. Der erste Tempel wurde von Salomo errichtet. Ab dieser Zeit werden die geschichtlichen Daten auch genauer.
Nach dem Tod Salomos wurde das Reich geteilt. 722 vor Christus wurde das Nordreich erobert, die zehn Stämme des Nordreiches wurden nach Mesopotamien umgesiedelt und kehrten nicht wieder zurück. Deshalb werden sie die „zehn verlorenen Stämme“ genannt. Die Herrschaft in „Erez Israel“ ging an die Assyrer über, der Anteil der Juden nahm ab. 586 vor Christus wurde Jerusalem zerstört, die meisten Juden aus dem Königreich Juda, dem ehemaligen südlichen Teil um Jerusalem, wurden in die babylonische Gefangenschaft gebracht. Sie kehrten nach 50 Jahren zu einem Teil wieder nach Jerusalem zurück und erbauten einen neuen, den zweiten Tempel. In „Erez Israel“ herrschten die Perser. Der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung war gering. Über die Menschen aus dem Volk Israel, die in Babylon blieben, berichtet die biblische Erzählung nicht.
322 vor Christus zogen die Griechen unter Alexander dem Großen ein und übernahmen die Herrschaft. Die jüdische Bevölkerung war wieder gewachsen, sodass ein Aufstand gegen die Fremdherrschaft möglich wurde und im zweiten Jahrhundert vor Christus der durch die Griechen entweihte Tempel neu geweiht werden konnte.
Aber schon gab es wieder einen Herrschaftswechsel: 65 vor Christus zog der Römer Pompeius in Jerusalem ein, die römische Herrschaft begann. Ein jüdischer Aufstand gegen die Römer blieb erfolglos. Nachdem bereits der Tempel zerstört worden war, wurde im Jahr 135 nach Christus die ganze Stadt Jerusalem zerstört. Auf ihren Ruinen wurde eine römische Stadt gebaut. Juden durften nicht mehr in Jerusalem wohnen.
Nach und nach zog es die Juden in andere Länder in denen es bereits seit Jahrhunderten eine jüdische Diaspora gab. Mit dem griechischen Wort „Diaspora“ wird eigentlich „Zerstreuung“ oder „Verstreuung“ bezeichnet, bildlich versteht man darunter auch „Verbreitung“. Die römische, später spätrömische oder byzantinische Herrschaft endete, als „Erez Israel“ 638 nach Christus durch die Araber erobert wurde. Nur wenige Juden blieben über die Jahrhunderte im Land, aber es waren immer welche präsent.
Für eine kurze Zeit übernahmen christliche Kreuzfahrer die Herrschaft. Auf dem Weg nach Jerusalem wurden durch die Kreuzritter und ihre Gefolgschaft viele Gräueltaten an Juden, quasi im Vorüberziehen, verübt.
Im 13. Jahrhundert begann die Vertreibung von Juden aus Gebieten, in denen sie sich angesiedelt hatten; zunächst aus England, dann aus Frankreich, dann aus Spanien und Portugal. Obwohl die meisten der vertriebenen Juden, soweit sie die Vertreibung überlebten, in andere europäische Länder wanderten, stieg auch langsam wieder die Anzahl der Juden in „Erez Israel“. Ihr seht das an der sich langsam verstärkenden blauen Farbe in dem oberen Balken der Grafik. Nach der Herrschaft der Kreuzfahrer übernahmen Mamelucken, das waren ägyptische Söldner im Auftrage eines Kalifen, für einige Zeit die Herrschaft in „Erez Israel“, danach die Türken bzw. Ottomanen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.
In Osteuropa begannen systematische Verfolgungen von Juden, es gab dadurch in langsam steigendem Umfang Einwanderungen von europäischen Juden in das Land. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Palästina britisches Mandatsgebiet.
Die schreckliche Katastrophe, die Shoah, führte zur Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden. Nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 kam „Erez Israel“ wieder unter jüdische Herrschaft. Drei Millionen Juden wanderten im Lauf der Jahre ein, aus jüdischer Sicht kehrten sie nach „Erez Israel“ zurück.
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Nach diesen vielen Puzzleteilchen der Geschichte das große Bild, das mit dieser Grafik verbunden ist:
Da war der Mann Abraham, der auf Gottes Geheiß sein Vaterland mit dessen vielen Göttern verließ und im Glauben an diesen einen, allmächtigen, barmherzigen und ewigen Gott einen unbekannten Weg in ein unbekanntes Land zog. Gott antwortete auf dieses Vertrauen und diesen Glauben eines Abraham mit einem einseitigen Versprechen: Ich werde dich und deine Nachkommen segnen, ich werde ihr Gott sein und sie mein Volk, ich werde ihnen das Land geben, das ich für euch ausgesucht habe. Gott erneuerte diesen Bund mit Isaak und Jakob. Jakob und seine Familie zogen nach Ägypten.
Und dann: Ein paar Hundert Jahre gar nichts. „Die Söhne Israels fruchteten, sie wimmelten, sie mehrten sich, sehr, gar sehr, das Land füllte sich mit ihnen.“ Einen Pharao, der nichts von der Vorgeschichte wusste, überkam die Furcht vor diesem Volk, das sich im Kriegsfall vielleicht mit seinen Feinden verbünden könnte. Er fing an, das Volk Israel zu bedrücken und sie wie Sklaven zu behandeln. Gott „sah die Bedrückung seines Volkes …, hörte die Schreie … und erkannte dieses Leiden“ und führte das Volk nach „Erez Israel“, in das Land, das er den Erzvätern versprochen hatte. Ob – und wenn, wie viele – Juden in Ägypten blieben, wissen wir nicht.
Etwa 400 Jahre ging das gut, mit Richtern und Königen. Juden lebten und herrschten in Israel. Dann zerbrach das Reich. Fast 2.600 Jahre dauerte es, bis die Herrschaft in „Erez Israel“ wieder in der Hand der Nachkommen der Patriarchen lag. Mindestens neun mal wurde das Land von neuen fremden Mächten erobert und besetzt. Nach einer geistlichen Blütezeit um die Zeitenwende, die wieder etwa 400 Jahre dauerte, wurden die Juden aus „Erez Israel“ sogar vertrieben. Fast 1.500 Jahre dauerte es, bis Juden in nennenswertem Umfang wieder nach Israel zurückkehrten. Überall in der Welt wurden sie mal akzeptiert, mal verachtet, mal verfolgt und isoliert bis hin zur Katastrophe, der Shoah, im letzten Jahrhundert.
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Aber, Zitat eines bekannten jüdischen Religionswissenschaftlers und Rabbiners: „Die Juden sind ein merkwürdiges Volk. Zu allen Zeiten hat man damit gerechnet, dass sie verschwinden, und trotzdem gibt es sie noch. Zu allen Zeiten waren sie klein an Zahl, und trotzdem sind sie sich selbst – und ihren Feinden – groß erschienen. Zu allen Zeiten haben die Überzeugungen und Wertvorstellungen der Juden die Mehrheitsgesellschaft herausgefordert und immer wieder deren Missfallen erregt. Zu allen Zeiten wurden Juden in großer Zahl umgebracht, haben ihren Glauben unter Zwang oder aus freien Stücken aufgegeben, doch es blieben genügend übrig, die sich dafür entschieden, ihr jüdisches Anderssein beizubehalten, um den Weg weiter zu gehen.“
Welchen Weg? Das Volk Israel war seit seiner Berufung ein ungewöhnliches Volk, anders als andere Völker. Das erkannte schon der Seher Bileam, der Israel verfluchen sollte und es statt dessen segnete: „Da, ein Volk, einsam wohnt es, unter die Erdstämme rechnet sich’s nicht.“ Darauf wies auch Mose in seinen Abschiedsreden hin und auch Haman, der große Schurke im Buch Esther, der im fröhlichen Purim-Fest des jüdischen Volkes eine bedeutende Hauptrolle spielt, beschwerte sich bei seinem König: „Es gibt ein einziges Volk, das über alle Provinzen deines Reiches verstreut lebt, aber sich von den anderen Völkern absondert. Seine Gesetze sind von denen aller anderen Völker verschieden; auch die Gesetze des Königs befolgen sie nicht. Es ist nicht richtig, dass der König ihnen das durchgehen lässt.“
An dieser Stelle wird im Video als Einspieler das Lied „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“ (Komponist A. Lutz) gezeigt.
Worte des Propheten Jesaja: Gott spricht zu Israel: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ Ein kleines Lied (gesungen von Mitgliedern unseres Gemeindechors in Corona-Besetzung). Dichter: jüdisch. Komponist: christlich. Ausführende: Christen. Wenn wir die alten Worte im christlichen Kontext hören und verwenden, dürfen wir nicht vergessen: Diese Worte galten und gelten immer noch zunächst dem jüdischen Volk.