In den Texten auf dieser Seite sind viele Zitate, meist jüdischer Autoren, enthalten. Um die Lesbarkeit der Texte zu verbessern, wurde hier auf Quellenangaben verzichtet. Alle Texte sind dem Artikel „Grundlagen“, der in der Rubrik „Download“ steht, entnommen. In diesem Artikel sind auch sämtliche Zitate und sonstige Anmerkungen mit regelgerechten Quellenverweisen und einem vollständigen Literaturverzeichnis zu finden. Nicht mit der Angabe eines Urhebers versehene Texte stammen vom Autor dieser Abhandlung.
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Glaubensbekenntnisse
Moses ben Maimon (1135 – 1204) gehört zu den bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters. Er wird auch Maimonides oder Rambam (Rabbi Moses benMaimon) genannt. Seine 13 Grundsätze, die er in Form eines Glaubensbekenntnisses niederschrieb, sind wohl die bekannteste Zusammenfassung von Überzeugungen religiös aktiver Juden. Den vollständigen Wortlaut findet ihr in der Anmerkung (G1).
Der Inhalt soll hier nur überschlägig beschrieben werden; diese Grundsätze sind jedoch so wichtig, dass man daraus einen Hymnus gemacht hat, der regelmäßig im jüdischen Gottesdienst verwendet wird.
Die Grundsätze bezeugen den Glauben
an Gott als den Schöpfer; an seine ewige Gegenwart als Schöpfer; an seine Einheit und Einzigartigkeit; an die Unmöglichkeit, sich ihn vorzustellen oder zu verstehen; an das Verbot, ein anderes Wesen außer ihn anzubeten; daran, dass er alles Tun des Menschen kennt; daran, dass er gute Taten belohnt und Übeltaten bestraft;
an die Wahrheit der Worte der Propheten, von denen Mose der größte war;
daran, dass die heutige Thora die gleiche ist, die Mose empfangen hat und dass es nie eine andere geben wird;
daran, dass der Messias kommen wird und dass die Toten einst auferstehen werden.
Ein bedeutender jüdischer Denker des letzten Jahrhunderts fährt nach der Zitierung dieser Grundsätze fort: „Da ich mich im Folgenden auf verschiedene dieser Grundsätze beziehen werde, habe ich den Text vollständig zitiert. Dass ich diese Grundsätze zitiere, bedeutet selbstverständlich nicht notwendigerweise Zustimmung.“ Und an anderer Stelle: „Die Zustimmung zu Glaubensbekenntnissen ist im Judentum also nicht automatisch gefordert. Vielmehr hat der Zweifel … einen legitimen Platz.“ Tatsächlich sind diese Grundsätze des Maimonides sofort nach Veröffentlichung von verschiedenen Seiten bestritten worden, auf zehn oder sieben oder drei reduziert – aber sie blieben immer für Diskussionen der Rabbinen wichtig!
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Nein, ein für alle Juden oder zumindest für alle religiösen Juden gleichermaßen verbindliches Glaubensbekenntnis werden wir nicht finden. Aber etwas anderes gibt es, das alle religiösen Juden verbindet, vielleicht auch viele der Juden, die sich selbst als säkular oder nicht-religiös bezeichnen würden. Es sind nur ein paar Verse aus dem Alten Testament, ein Zitat aus den Schlussreden Moses an das Volk Israel, das keine Begriffe wie „Glauben“ oder „Überzeugung“ enthält und dennoch oft als jüdisches Glaubensbekenntnis bezeichnet wird:
Das Sch’ma; das „Höre, Israel“.
Hier alle sechs Verse, obwohl häufig nur der erste als Sch’ma bezeichnet wird:
Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist Einer.
Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen
und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,
und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
Sch’ma Jisrael, adonai eluhenu, adonai echod: „Der gesetzestreue Jude spricht diesen ersten Vers jeden Tag seines Lebens am Morgen und bei Einbruch der Nacht… Es ist der erste hebräische Satz, den ein Kind lernt, und der Vers, den jeder Jude mit seinem letzten Atemzug sprechen soll“.
Das Sch’ma ist anders als ein Gebet, anders als ein Glaubensbekenntnis: Das Sch’ma ist das Bekenntnis eines Selbstverständnisses: Er ist da. Gott ist unser, ist mein Gott. Er ist ewig. Es gibt keinen Gott neben ihm.
Die weiteren Verse des Sch’ma erläutern Verhaltensweisen gläubiger, meist orthodoxer Juden, die auf den ersten Blick eigentümlich erscheinen mögen: Vor dem Gebet wickelt sich der Beter einen schmalen Lederriemen mit einem kleinen Lederkästchen um den linken Unterarm und schiebt sich einen Lederriemen auf den Kopf, an dem ebenfalls so ein kleiner Behälter vor seiner Stirn hängt. In diesen Kästchen liegt ein Papier mit einem Bibelvers, meist mit dem Sch’ma. Damit erfüllt er die Weisung aus Vers 8: „Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein.“ An vielen Eingangstüren der Wohnungen und Häuser von gläubigen Juden ist eine längliche Metallkapsel, die Mesusa, angebracht, die beim Betreten oder Verlassen kurz mit der Hand berührt wird. Auch darin liegt ein solches Papier. Damit wird die Weisung aus Vers 9 erfüllt: „du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.“
Überzeugungen
Die verschiedenen religiösen Hauptgruppen des Judentums unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Auslegung der Gebote der Thora und die Gewichtung überlieferter Traditionen, die im und neben dem Talmud entstanden sind.
Zur Zeit Jesu und der Zeit des Entstehens des Neuen Testaments sind die beiden „in den schriftlichen Quellen erwähnten und in einer Reihe zentraler Glaubensfragen zerstrittenen Hauptgruppen die Pharisäer und die Sadduzäer. Erstere glaubten an die Unsterblichkeit der Seele; an eine gerechte Strafe im Jenseits; an eine Verbindung der göttlichen Vorsehung, die das menschliche Handeln bestimmt, mit freiem Willen, der es dem Menschen ermöglicht, zwischen Gut und Böse zu wählen. Die Sadduzäer – von einer Minderheit der Aristokratie und der Priesterschaft unterstützt – vertraten dagegen die Auffassung, dass die Welt nur das sei, was unsere Sinne wahrnehmen – also ohne Engel oder Geister – und dass es keine göttlichen Eingriffe in menschliche Angelegenheiten gebe. Das rabbinische Judentum, das sich nach der Zerstörung des Tempels entwickelte, stand ohne Zweifel in der Tradition der Pharisäer.“ Es gab weitere kleinere Sekten, die besonders im Verhältnis zur römischen Besatzungsmacht unterschiedliche Auffassungen, manchmal auch militant, vertraten.
„Schriftgelehrte“, ein Begriff, der in deutschen Übersetzungen des „Neuen Testaments“ oft verwendet wird, sind einfach Schriftgelehrte. Sie können Pharisäer oder Sadduzäer oder keins von beiden sein. Schriftgelehrter war ein Beruf, in dessen Verantwortung der Thora-Unterricht und die thorakonforme Beurkundung von Amtshandlungen wie Eheschließung, Ehevertrag, Scheidung und Testament lagen.
Heute wird unterschieden in
Hauptgruppen nach Herkunft
Aschkenasim: von mittel- und osteuropäischer Tradition bestimmte Juden. Vorfahren stammten meist ursprünglich aus Deutschland und Frankreich, danach aus Osteuropa (Schwerpunkte Polen, Russland, Ukraine). Diese Gruppe macht etwa 80% der Juden weltweit aus.
Orientalen: von orientalischer Tradition und Kultur bestimmte Juden (etwa 10% der Juden weltweit)
Sephardim: von süd- und westeuropäischer Kultur bestimmte Juden (etwa 5%)
Sonstige (z.B. Beta-Israel, Karäer; etwa 5%).
Hauptgruppen nach Position zur Tradition
„Liberale / Reformierte“: „Das progressive Judentum in seiner liberalen und reformorientierten Ausprägung ist als Alternative zum orthodoxen Judentum die vorherrschende Richtung innerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft. Seine Ursprünge sind vor allem im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts zu finden.
… Dabei wird die Offenbarung nicht als einmaliger Akt verstanden, bei dem Moses durch Gott wörtlich die Thora (schriftliche Lehre) sowie alle Auslegungen (mündliche Lehre, später im Talmud niedergeschrieben) erhalten hat, sondern als ein fortdauernder, von Gott ausgehender und durch Menschen vermittelter dynamischer und fortschreitender Prozess begriffen. Die jüdische Tradition verpflichtet daher sowohl zur Bewahrung als auch zur Erneuerung. Die Texte der hebräischen Bibel sind einer historisch-kritischen Erforschung nicht entzogen. (…)
Kennzeichnend für das progressive Judentum sind: Liturgie in Hebräisch und in der Landessprache; Verwendung von Musik in der Liturgie, (…) Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen religiösen Angelegenheiten einschließlich der Ordination von Frauen zu Rabbinern (H1), Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von ihrem Familienstand oder sexueller Orientierung; Vorrang des inhaltlichen Sinns der Gebote (…) vor ihrer verbindlichen Festlegung als „Zeremonialgesetz“. Dabei werden auch die Speisegesetze und die Vorschriften zur Einhaltung der Schabbat-Ruhe nicht außer Kraft gesetzt; deren Kenntnis wird den Mitgliedern der Gemeinden vermittelt, ihre Ausführung aber der verantwortlichen Entscheidung des Einzelnen überlassen.“
„Orthodoxe“: Für sie ist die „schriftliche Thora“ die wörtliche und zusammen mit den Auslegungen der „mündlichen Thora“ im Talmud „als von Gott offenbart“ die normative Tradition (F1). Weitere Kommentare der Rabbinen erläutern die Regeln, die bei den wechselnden soziologischen, kulturellen und technischen Gegebenheiten immer wieder neu interpretiert wurden. Orthodoxe verstehen sich als Bewahrer der Tradition. Auch die Gebote, die durch die Rechtsvorschriften der verschiedenen Staaten, in denen Juden leben, ersetzt sein könnten, oder durch den Wegfall der Tieropfer nach der Zerstörung des Tempels, dem Ende der Priesterschaft und der Unterhaltspflicht für den Stamm Levi ihren ursprünglichen Sinn verloren haben, werden durch neuere Definitionen bewusst erhalten. (F1)
„Orthodoxe glauben an die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Körpers. Ein weiterer Grundsatz des orthodoxen Judentums ist der feste Glaube an das Kommen eines Messias, der sein Volk erlösen wird …“
Musik im Gottesdienst ist seit der Zerstörung des 2. Tempels weitgehend ungebräuchlich.
„Konservative“: Sie sind zwischen den Orthodoxen und den Liberal-Reformierten einzuordnen. „Betont werden die jüdische Volksgemeinschaft und der Erhalt der reichhaltigen Traditionen des Judentums. (…) Im Gegensatz zum Reformjudentum bewahren sie hebräische Sprache im Gottesdienst und setzen sich (…) dafür ein, die Halacha (d.i. „der zu gehende Weg“) traditionell beizubehalten.
Heute bilden die Konservativen in Deutschland die Mehrheit der religiös aktiven Juden; vor der Shoah war das Reformjudentum überwiegend.
Die Übergänge zwischen diesen Hauptgruppen sind fließend. Jede Gemeinde entscheidet durch die Wahl ihres Gemeindevorstands und ihres Rabbiners auch ihre Ausrichtung. „Rabbiner“ bedeutet „Lehrer“. „Im Talmud gibt es eine Debatte darüber, ob es genügt, Menschen dazu anzuhalten, gewisse Normen zu befolgen, oder ob man diese Normen auch durchsetzen muss“. Dieses Zitat eines argentinischen Rabbiners mag etwas die Differenzen zwischen „liberal“ und „orthodox“ beleuchten. Der nächste Satz des Rabbiners war: „Meiner Meinung nach sollte man sie nur dazu anhalten, nicht zwingen (…).“
„Säkulare bzw. religiös nicht Aktive“: Ob und wie sehr religiös nicht aktive Juden noch ihrer Religion verbunden sind, bleibt individuelle Entscheidung des Einzelnen.
Abschließend zu den verschiedenen religiösen jüdischen Bewegungen noch eine jüdische Stimme: Alle Bewegungen „sehen sich selbst als rabbinisch an … Sie sind sich über die Bedeutung der Thora uneins, wogegen das Verständnis Gottes und Israels zum größten Teil eine Konstante unter ihnen ist.“
Verbände
In Deutschland gibt es Verbände, in denen sich Gemeinden gleicher Ausrichtung zusammenschließen. Der „Zentralrat der Juden in Deutschland“ als Dachorganisation unterstützt die Arbeit dieser Verbände und der Gemeinden und vertritt deren Interessen in Politik und Gesellschaft.